Ungehaltene Predigten ungehaltener Frauen

Predigtreihe

Predigt von Kristin Jahn aus der Citykirche Konkordien in Mannheim.

Am 1. Mai durfte Generalsekretärin Kristin Jahn, als Teil der Predigtreihe "Ungehaltene Predigten ungehaltener Frauen", in der Mannheimer Citykirche Konkordien die Predigt halten. Mit der Predigtreihe würdigt die CityKirche das 50. Jubiläum der ersten Ordination einer Frau in Baden. Was heute selbstverständlich ist, war damals ein großer Schritt. Das greift die Predigtreihe auf und legt zugleich den Finger auf Ungerechtigkeiten, denen Frauen weiterhin ausgesetzt sind. Hier finden Sie den Predigttext als Nachlese:

Wehe den Hirten, die sich selber weiden – ich frag mich immer, wie sieht das aus? Eine Kirche, die sich selber weidet?
Richard, zum Beispiel – Pazifist. „Frieden schaffen ohne Waffen.“
Jahrelang hat er das gelebt. Er war Bausoldat gewesen in der DDR und hat lieber schwer auf Baustellen geschuftet, als eine Waffe auch nur in die Hand zu nehmen.
Er hat sich seine Sehnsucht nach Frieden etwas kosten lassen. Damals in der DDR.
Er hat sich verzehrt nach einem Land ohne Aufrüstung und Waffen. Darum hat er mitgemacht in der Friedensbewegung Ost.
Seine Verwandten wusste er im Westen. Dass sie auch protestierten, war sein Trost. Nicht allein sein mit der riesengroßen Sehnsucht. Das ist manchmal schon viel und gibt Kraft.

Als 1983 in Wittenberg ein Schwert umgeschmiedet wurde zu einer Pflugschar, war Richard natürlich mit dabei gewesen. Er wusste, dass er überwacht wird und hat es trotzdem riskiert.
Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein. und was darüber ist, das ist vom Übel.
Richard sagt: Wir haben damals ein Wunder erlebt. Aber es hat uns eben auch etwas gekostet.
Mit Kerzenwachs und Gebeten stand er 89 auf der Straße. Friedliche Revolution. Er hat gesehen, wie die Waffen schwiegen, die auf Menschen gerichtet waren.  
Wenn er heute davon erzählt, dann leuchten noch immer seine Augen.  
Eure Rede sei Ja, ja; nein, nein. Ja zum Leben und Nein zum Tod.

 

II Als am 24. Februar dieses Jahres Wladimir Putin die Ukraine überfiel, hab ich ihn angerufen und sein erster Satz zu all dem war: Frieden schaffen ohne Waffen. Denn Waffen machten alles nur noch schlimmer.
Ist das so? habe ich gedacht.
Als die Bilder von Butscha bekannt wurden, hat Richard immer noch gesagt: Waffen liefern sei falsch.
Ist das so, hab ich gedacht? und soll das jetzt denn die Lösung sein, dass wir dasitzen, beten und zusehen, wie ein Land einfach angegriffen wird und das alles auch noch in warmen Stuben, wenn´s hoch kommt auch noch geheizt mit russischem Gas!? Soll es das jetzt sein?
Richard blieb bei seiner Position. Er ist mit seinem fundamentalen Pazifismus ja auch nicht allein. Sie wird auch von unserem EKD-Friedensbeauftragten, Friedrich Kramer, vertreten. „Frieden schaffen ohne Waffen.“
Richard wiederholt bis heute diesen Slogan. Dabei ist es doch etwas vollkommen anderes, wenn ein Volk mit Blick auf seine eigene Regierung auf die Straße geht und sagt: Aufrüstung und Waffen, da machen wir nicht mit, als diesen Slogan jetzt wie ein Etikett auf eine vollkommen andere Situation zu kleben.
Sendemasttheologie, nenn ich das, festgefahren in der eigenen Position und Christus, irgendwo unterm Sofa.
Begraben unter dem Fundament der eigenen Erfahrung.

 

III Ich glaube, dass man sich in seinen Erfahrungen einrichten kann wie auf einem Sofa. So ein Sofa, in dem schon eine Kuhle ist. Man fällt dann ganz von alleine immer wieder auf ein und denselben Platz.
Ich glaube, dass man sich auch in den Wundern, die man erlebt hat, so sehr einrichten kann, dass man die Wunden der andern gar nicht mehr sieht.
Man schwört dann Stein und Bein auf das, was einem selber mal geholfen hat und stülpt es anderen über wie eine Schablone. „Frieden schaffen ohne Waffen.“
Und Christus irgendwo unterm Sofa.
Irgendwo hinter all den wunderbaren Erfahrungen, liegt er dann noch, dieser Christus mit seinem ganzen Aufstand und Protest gegen alles, was das Leben bedroht.
Richards Beharren ist für mich zu einem Sinnbild geworden für eine Kirche, die sich nicht mehr raus wagt, die sich in sich selber verkriecht.
Eine Kirche, die vor lauter klugen friedensethischen Debatten den Nächsten aus dem Blick verliert. Die weder zupackt, noch das Unfassbare dekliniert – was man auf EKD-Ebene ja wirklich mal erwarten könnte.
Denn anstatt mal zu sagen, wie man in einer Welt, in der Putin über Leichen geht, jetzt überhaupt noch bekennen kann: Dass Gott uns alle erschuf, Putin, Selensky. Dich und mich.
Anstatt das mal zu durchdenken, ziehen sich manche Bischöfe und Christen lieber auf ihre Erfahrungen aus den 80er Jahren zurück und sagen mantraartig Frieden ist der Weg, nach dem Motto: mein Wunder, für dich gegeben.
Ich finde es menschlich, mitten in einer Krise erstmal in den Bauchladen der eigenen Erfahrung zu schauen, aber es ist ganz schnell auch übergriffig, daraus die Lösung für andere abzuleiten.
Es erzählt nur von einer Theologie, die sich eingerichtet hat mit ihrem Gott.

 

IV Eure Rede sei Ja, ja; nein, nein.
Jesus steht da oben auf dem Berg und er spricht zu uns. Die Seligpreisungen, wo der Himmel beginnt, worauf ich bauen kann im Leben und im Sterben.
Und ich stehe vor ihm mit meiner ganzen Lebenserfahrung. Mit all meinen Haaren auf dem Kopf und mit der Erfahrung einer friedlichen Revolution im Rücken.
Und auf nichts von alldem kann ich bauen, geschweige denn schwören. Auf kein Wunder, kein Konzept, keine Erfahrung.  
Ich muss jeden Tag neu ausloten, was grad dran ist, was mein Nächster jetzt braucht und was hier und jetzt in meiner Macht steht.
Das ist alles andere als leicht und bequem. Das ist mühsam und das macht Arbeit.
In meiner Heimatgemeinde in Ostthüringen wohnen nicht so viele theologisch gebildete Leute, keine Bischöfe und auch kein EKD-Friedensbeauftragter.
Es sind einfache Leute. Viele von ihnen sind gar nicht in der Kirche.
Ende März sind in unserem Nachbardorf 39 Menschen aus der Ukraine angekommen.
Die Turnhalle war das erste Domizil. Menschen haben erstmal Suppe gekocht, Kinder betreut. Haare frisiert. Das was nötig war und was jeder gut konnte.
Gründonnerstag konnten die ersten 30 Personen in eigenen Wohnungen untergebracht werden.
Christentum ganz konkret und ein Glaube, der sich nicht in Debatten verliert, sondern am Ende des Tages einfach zupackt. So wie ihr in eurer Vesperkirche auch.

 

„Wir müssen unsere friedensethischen Positionen überdenken“, hat Annette Kurschus vor einigen Wochen gesagt mit Blick auf den Krieg in der Ukraine.
Ja, denke ich. Aber vor allem müssen wir aufhören, in Positionen zu glauben und zu denken.
Ich wünsche mir eine Kirche, die den Mut hat erwachsen zu sein. Eine Kirche, die Abschied nimmt von ihrem Wohlfühlgott, der angeblich zu allem immer Ja sagt, das macht er nämlich nicht.
Eine Kirche, die glasklar Theologie betreibt, auch dort, wo es uns richtig weh tut.
Die den Mut hat zu sagen: Wladimir Putin ist und bleibt unser Bruder in Christus genauso wie Wolodymyr Selenskyj. Gott hat beide erschaffen.
Und einmal wird er kommen und er wird richten über Lebende und Tote.
Und gerade weil das so ist, können wir jetzt nicht tatenlos zusehen, wie Putin das Leben eines anderen bedroht und ein ganzes Land zerbombt. Da können wir nicht tatenlos zusehen..

Ich wünsche mir eine Kirche, die das Unfassbare sagt. Eine Kirche, die ernst macht mit dem Credo. Die immer wieder konsequent trennt zwischen Täter und Tat und den Täter nicht weiter morden lässt. Sondern ihn immer wieder konfrontiert mit seiner Tat. Das wäre ja der Anfang aller Friedensgespräche und ihn dann auch zur Umkehr ruft.
Ich wünsche mir eine Kirche, die es wagt, von dem Gott zu erzählen, der uns zusammendenken kann, allem, was ist zum Trotz. Ein Gott, der größer ist als alles, was wir verstehen und der uns am Ende mal fragen wird: Was hast du mir getan? Wo mich geliebt und gewärmt?

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.  

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